Ecce sacerdos magnus

Eine besonders hervortretende Komposition Fortunato Santinis ist sein Ecce sacerdos magnus  für vierstimmigen Chor, Streicher, Oboen und Hörner. Kein anderes seiner Werke ist für eine regelrechte Orchesterbesetzung komponiert worden. Das Stück erscheint damit singulär in seinem Œuvre. Umso mehr stellt sich die Frage, was Santini dazu veranlasste, entgegen seiner sonstigen kompositorischen Ausrichtung ein derartiges Stück zu verfassen.

Entstanden ist das Werk vermutlich gegen Ende der 1820er Jahre im Umfeld des Collegio Inglese in Rom, für das Santini in dieser Zeit einige, wenn auch wesentlich einfachere Widmungswerke schrieb. Wie der Zusatz „espressamente composto per il Vescovo di Siga Monsignor Bens“ in der Handschrift nahelegt, ist Ecce sacerdos magnus speziell dem Bischof von Siga, Peter Augustine Baines (1787–1843) zugeeignet. Am 1. Mai 1823 in Dublin durch Archbishop Murray zum Titularbischof von Siga geweiht, spielte Baines eine wichtige Rolle bei der Katholikenemanzipation in England. 1826 reiste er aufgrund gesundheitlicher Probleme auf den Kontinent und verbrachte gegen Ende des Jahrzehnts viel Zeit in Rom, vor allem am Collegio Inglese. Zudem gewann er das Vertrauen von Kardinal Capellari, später Papst Gregor XVI. Mit dem Rektor des Collegio Inglese, Nicholas Wiseman, teilte Baines die englischen Predigten am Collegio und zog vor allem durch seine präsente Art und seinen mitreißenden Redestil viel Publikum an, wie ein zeitgenössischer Bericht offenbart:

„The church, which was nearly empty when preachers of inferior rank occupied it, was crowded when Bishop Baines was announced as the orator.... The flow of his words was easy and copious, his imagery was often very elegant, and his discourses were replete with thought and solid matter. But his great power was in his delivery, in voice, in tone, in look, in gesture. His whole manner was full of pathos, sometimes more even than the matter justified....“ (zitiert nach Brian Fothergill: Nicholas Wiseman, London 2013, S. 53)

So las der Bischof auch im Mai 1829 eine feierliche Messe zur Danksagung für die Katholikenemanzipation, nachdem im April der Roman Catholic Relief Act im britischen Parlament verabschiedet worden war. Bei den Feierlichkeiten im Collegio Inglese war neben italienischen Gästen englischer katholischer Adel anwesend. Beim abendlichen Bankett „war das Haus erleuchtet und mit den Wappen des Papstes und des Königs von England verziert.“ (Allgemeine Zeitung für das Jahr 1829 – Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Stuttgart und Tübingen 1829, S. 690)

Santini dürfte Baines Ende der 1820er am Collegio Inglese kennengelernt haben, also ein paar Jahre nach seinem Aufenthalt in Ferrara. Vielleicht war es gerade das bereits beschriebene Auftreten des Vescovo di Siga, das Santini zur Komposition eines Orchesterwerks motivierte, um einer solch schillernden Figur gebührend entgegenzutreten und den Bischofs-huldigenden Text in ein dementsprechend adäquates musikalisches Gewand zu kleiden. Das A-Cappella-Ideal schien hier für Santini jedenfalls keine große Rolle zu spielen – in seinem direkten Umfeld wurde dies ohnehin erst einige Jahre später mit Carlo Odescalchis Übernahme des Amts des Generalvikars und Santinis Aufnahme in die Congregazione ed Accademia di St. Cecilia ein größeres und stärker ideologisiertes Thema. Außerdem waren geistliche Werke von Wolfgang Amadeus Mozart oder Joseph Haydn neben der Rückbesinnung auf italienische Meister durchaus in den Musikzirkeln, wie etwa jenem von Giuseppe Sirletti, dem Santini häufig beiwohnte, beliebt.

Santinis Komposition bedient im Wesentlichen eben jene Tonsprache der frühen Wiener Klassik. So verwendet er für die in der Grundtonart D-Dur stehende Komposition Elemente von Periodizität und Themenarbeit, wenn auch eher in Form von Reihungen als Fortentwicklungen. Viele Tremoli in den Streichern, Sechzehntel-Läufe vor allem in den Violinen sowie Ganz- und Halbschlüsse mit Quartsextvorhalten und mehrfacher, Generalpausen-durchsetzter Wiederholung der entsprechenden Akkorde lassen etwa an frühe Werke Mozarts oder die Mannheimer Schule denken. Außerdem erklingen häufig Orgelpunkte, oft mehrere Takte auf der Dominanten. Der Chorsatz selbst ist recht simpel gehalten und enthält grundsätzlich harmonisches Material, das elaborierter in den Instrumentalstimmen umgesetzt wird.

Angesichts des für Santinis Verhältnisse relativ hohen Aufwands der Komposition eines kurzen Orchesterstücks wäre es vielleicht denkbar, dass das Werk für die Feierlichkeiten zur besagten Katholikenemanzipation entstanden ist – ob als Widmung an Baines mit der Hoffnung auf eine Aufführung oder als regelrechtes Auftragswerk, ist nicht bekannt. Interessant erscheinen in diesem Zusammenhang zudem Santinis kurze Kompositionen Cantate Domino canticum novum mit dem Vermerk „For the Catholik emancipation“ sowie zwei Jubilate Deo, ein vierstimmiges und ein achtstimmiges, die beide den Vermerk „pro Emancipatione Catholicorum in Anglia“ tragen. Die Stücke sind somit in einem ähnlichen Zusammenhang zu verorten.

Kurz nach den Feierlichkeiten kehrte Baines zunächst wieder nach England zurück und wurde Vicar Apostolic of the Western District als Nachfolger des am 3. März 1829 verstorbenen Bischof Peter Collingridge. Zudem gründete er im Jahr 1830 das Prior Park College in Bath, Englands erste katholische Universität, die bis heute besteht.

Widmungen

Literaturhinweise

  • Fothergill, Brian: Nicholas Wiseman, London 2013, speziell zu Baines Kapitel 5.
  • Ward, Bernard: Art. „Peter Augustine Baines“, in: Catholic Encyclopedia online.

Verfasser: Michael Werthmann

28. September 2022

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